''Eine ganze Menge Beispiele zeigen, daß die Taillenweite (in Zoll gemessen) einer jungen Dame zur Zeit ihrer Heirat nicht die Zahl ihrer Lebensjahre übersteigen sollte, und die meisten von ihnen wollten heiraten, bevor sie zwanzig waren'' (Cunnington, 1941, S. 152-161). Diese bemerkenswerte, vielzitierte und keineswegs bewiesene historische Verbindung zweier Fakten, aufgestellt von der wohl kompetentesten Person auf dem Gebiet der viktorianischen Mode, drängt einen förmlich dazu, eine andere symbolische Bedeutung für die Fixierung auf Taillenweiten zu suchen. Letztere scheint mit einer Art Zahlenmagie behaftet zu sein. Cunnington verbindet zwei sehr verschiedene viktorianische Tatsachen miteinander: das Eng-Schnüren und das Heiratsalter. Es ist fast sicher, daß viele junge Damen vor ihrem zwanzigsten Lebensjahr heiraten wollten, doch sie sollten diesen wohl entscheidensten Schritt in ihrem Leben nicht tun, bevor sie in bezug auf Gefühl und Verstand genügend Reife erlangt und ausreichend viele Erfahrungen in der Welt gemacht hatten. Dies alles sollte zu einer vernünftigen und ausgeglichenen Entscheidung beitragen. Aus wirtschaftlichen Gründen (die in ihrer Komplexität schwer zu verstehen sind) heirateten junge Mädchen der Mitte des 19. Jahrhunderts früher als hundert Jahre zuvor. Was ängstliche Eltern vor allem dazu veranlaßte, ihre Töchter so früh zu verheiraten, war das geringe Männerangebot auf dem Heiratsmarkt und damit die Angst, eine Tochter könne zum ''Ladenhüter'' werden, wenn man ein vernünftig erscheinendes Angebot ausschlug.
Zeitschriftenverleger waren damit nicht einverstanden. Eine der meistgestellten Fragen an das EDM: ''Welches Alter sollte man haben, wenn man heiratet?'', wurde beantwortet mit: ''Mindestens zwanzig Jahre.''. Eine andere, ebenfalls häufig gestellte Frage war: ''Welche Taillenweite ist die richtige?'', die Antwort darauf lautete ebenso. Für gewöhnlich war zwanzig die Grenze zwischen heiratsunfähigem und heiratsfähigem Alter und auch die Grenze zwischen dem normalen Schnüren und dem Eng- Schnüren. Man könnte vermuten, daß das Erreichen einer schmalen Taille bei Teenagern unbewußt ihren Verstand dahingehend beeinflußt hat, daß sie sich schon in jüngeren Jahren für heiratsfähig hielten, wobei sie es aber eigentlich noch nicht waren, und daß die Vorstellungen von 15- und 16-Zoll- Taillen ihren Ursprung in dem Wunsch (von Männern wie auch von Frauen) nach 15- und 16jährigen Bräuten haben.
Anmerkung: Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es eine Renaissance des Korsettierens. Schon ganz junge Mädchen im Alter von 10-12 Jahren wurden geschnürt. Dabei wurde nicht nur die Verformung des Körpers toleriert, sondern dieser Effekt war sogar erwünscht. Da die Mädchen schon sehr früh verheiratet wurden, hatten sie mit eng geschnürter Taille, die dem gängigen Schönheitsbild der damaligen Zeit entsprach, größere Chancen auf dem Heiratsmarkt. Heute ist eine grazile Taille ebenfalls noch ein Schönheitsmerkmal, allerdings steigert das nicht unbedingt die Heiratschancen einer Frau. Trotzdem wird der sogenannte "schönste Tag" meist mit einem wunderbaren Modell aus der Brautmode gekrönt. Der Stil des Brautkleides, das sehr oft üppig in Form und Material ist, wird meist durch ein Korsett oder zumindest eine Korsage unterstützt. Das tragen dann auch Frauen, die sich sonst nicht korsettieren.