Die Entwicklung des Korsetts Geschichte Alltagsmode im 19. Jahrhundert
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Die Entwicklung des Korsetts im 19. Jahrhundert

Dieser Abschnitt ist eine Übersetzung aus ''Corsets and Crinolines'' von Nora Waugh. Die Zahlen in Klammern bezeichnen die Nummern der Abbildungen in ''Corsets and Crinolines''.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war die Griechische Figur das Ideal, das jede Frau erreichen wollte (hohe runde Brüste, lange wohlgeformte Gliedmaßen). Ihr weiches, leichtes Musselinkleid lag am Körper an und zeigte jede Kontur. Daher wurde auf alle überflüssige Unterkleidung, die die Silhouette verderben könnte, verzichtet, unter anderem auch auf das fischbeingesteifte Schnürmieder. In Frankreich, wo die soziale Ordnung völlig umgestürzt war mit der Folge des Moralverlustes, wurde dieser Mode mehr gefolgt als in England. Es gibt jedoch sehr viele Hinweise in der englischen und französischen Literatur, einerseits auf den Gebrauch, andererseits auf den Verzicht auf das Schnürmieder, so daß man annehmen kann, daß beides vorgekommen sein mag. Die jungen Mädchen und Frauen mit einer hübschen Figur werden wohl darauf verzichtet haben. Die nicht so glücklich beschaffenen mußten zu irgend etwas Zuflucht nehmen, um die einfachen Kleider tragen zu können und ihre überflüssigen Pfunde im Zaum zu halten.

Viele der einfachen Musselinkleider um 1800 sind auf einer Baumwollfütterung befestigt mit zwei separaten Stücken die sich kreuzen und vorne unter den Brüsten befestigt wurden. Dies wirkte wie eine Art Büstenhalter und war oft die einzige Art Mieder, die getragen wurde. Aber in vielen Fällen reichte dies nicht aus. In England wurde das fischbeingesteifte Schnürmieder des späten 18. Jahrhunderts weiter getragen. Manchmal, um der vorherrschenden Mode gerecht zu werden, wurden sie bis über die Hüften gezogen, wobei die Anhänger durch Zwickel ersetzt wurden. Für die ganz schlanken wurde es durch Polsterungen verstärkt, für die stärkeren Figuren stark mit Fischbein gesteift. Da dieses lange Korsett in der damaligen Zeit meist nur in Karikaturen zu sehen war, kann man davon ausgehen, daß es kein elegantes Kleidungsstück war, sondern ein Hilfsmittel zur Kontrolle unmoderner Figuren. Viele Experimente scheinen gemacht worden zu sein, um die echte griechische Form zu erreichen, darunter ein langes gestricktes Korsett aus Seide oder Baumwolle. Es ist interessant, daß in Frankreich der alte Namen corps fast verschwunden war, und von nun an alle Arten enganliegender Unterwäsche mit Korsett bezeichnet wurden, ein Brauch, der in England kopiert wurde, obgleich die alte Bezeichnung stays auch beibehalten wurde. In französischen und englischen Damenjournals um 1809-1810 gab es einen Aufschrei gegen die Wiederkehr des Korsetts: Ein längerer Oberkörper, umfangreichere Kleider und eine betontere Taille der Kleider machte es wieder beliebter (54).

Ein neuer Typ von Korsett begann sich zu formen, völlig verschieden von seinem Vorgänger, dem fischbeingesteiften Schnürmieder. Nun wurde nicht mehr auf einen steifen, geraden Oberkörper Wert gelegt, sondern auf geschwungene, kurvige Linien, die von einer schmalen Taille ausgingen. Wieder begann es mit einem einfachen Mieder aus starkem Baumwollmaterial (jean oder später coutil genannt). Solange die Taille noch hoch war, reichten zwei Stücke für das Vorderteil und zwei Stücke für das Hinterteil, die mittlere Front wölbte sich manchmal, die hintere Front wurde normalerweise angepaßt. Den Brüsten wurde Rundung durch zwei oder mehr Zwickel, die an jeder Vorderseite oben am Korsett eingefügt wurden, gegeben. Die Hüften wurden ebenfalls durch einen oder mehrere Zwickel, die an jeder Seite unten eingesetzt wurden, angepaßt.

In dem Maße, wie die Taille nach und nach länger und stärker betont wurde, wurden zusätzliche Teile hinzugefügt (36,105), oder, ab ca. 1835, ein sogenannter basque-shaped Teil, welcher die Hüften umschloß. Zunächst, solange das Kleid noch schlank war, war dieses Mieder ziemlich lang in den Hüften, aber es wurde in dem Maße kürzer, wie das Kleid an Fülle zunahm, und in der Mitte des Jahrhunderts war es manchmal in der Tat sehr kurz. Ein breiter busk wurde an der Vorderseite eingesetzt, und schmale Fischbeinstäbe an der Rückseite. Für stärkere Figuren konnten seitliche, sowie zusätzliche Fischbeinstäbe hinzugefügt werden. Es wurde normalerweise hinten zugeschnürt und hatte bis in die 40er Jahre Schulterträger. Obgleich es einige moderne Schneider gab, die sich auf die Anfertigung von Korsetts spezialisiert hatten (corsetière), wurden sie häufig zu Hause gemacht, und Schnittmuster und Anleitungen zu deren Herstellung sind in den Damenmagazinen bis zu den späten 1860er zu finden. Diese Korsetts folgten der modernen Silhouette, die Taille wurde in den 40er Jahren viel länger (37) und dann in der 50er und 60er Jahren wieder viel kürzer geschnitten.

Mit der industriellen Entwicklung im 19. Jahrhundert entstanden viele Erfindungen, die der Corsetière halfen: Ösen aus Metall 1828, der erste stählerne Vorderverschluß (front-busk-fastening) 1829, viele Ideen zum Zu- und Aufschnüren. Im Jahre 1832 meldete Jean Werly, ein Franzose, ein Patent für gewobene Korsetts an. Sie wurden auf einem Webstuhl hergestellt, wobei die formenden Zwickel in den Webprozeß integriert wurden. Diese Korsetts, normalerweise aus weißer Baumwolle und nur leicht gesteift, waren angenehm zu tragen und daher sehr beliebt. Sie wurden bis 1889 getragen.

In den späten 1840er, in Frankreich, wo leichtere Korsetts bevorzugt wurden, wurde ein neuer Schnitt eingeführt - ein Korsett ohne Zwickel, hergestellt aus 7 bis 13 einzelnen Stücken, jedes zur Taille hin geformt (shaped in to the waist). In den 1860er, als die Krinoline am breitesten war, und die Hauptaufgabe des Korsetts darin bestand, die Taille schmal zu schnüren, wurde diese Art von Korsetts, ganz kurz im Schnitt, sehr beliebt, obgleich mehr auf dem Kontinent getragen als in England (38). Die Mieder aus der Mitte des 19. Jahrhunderts sind nur leicht mit Fischbein gesteift, jedoch durch cording und Steppen gesteift. Da sie über den Petticoats und der Krinoline getragen wurden, war der vordere busk und die hinteren Fischbeinstäbe sehr stark zur Taille hin gebogen. Weiße Korsetts wurde für damenhafter gehalten, obgleich graue, aschfarbene, rote und später schwarze für wirtschaftlicher gehalten wurden. Sie wurden meist aus coutil hergestellt und meist in weiß gefüttert (56-59).

Als in den frühen 1870er die Tournüre die Krinoline ablöste, und das Kleid die Figur vorne und an der Hüften zu formen und betonen begann, kam die eigentliche Zeit des Korsetts. Man kam nicht mehr mit einem hausgemachten Artikel aus, und die Korsett-Industrie erlebte einen gewaltigen Aufschwung. Um diese Zeit herum begannen die Damenmagazine vermehrt Details und Illustrationen der verschiedensten Kleidungsteile, sowie Ratschläge für Korsetts zu geben, was bis dahin eher selten war. An ihnen kann man die große Vielzahl von Korsett-Typen sehen, die nun entstanden, alle gemacht, um der neuen Kleiderlinie zu folgen, in welcher das Mieder die Hüften mit einschließt, dieses Küraß-Mieder erforderte ein Korsett, welches in der Tat fast ein wahrhaftiger Küraß wurde. Groß war die Zahl der Erfindungen, das Problem aber war, das Korsett vor dem Verschieben und Falten, und die Fischbeinstäbe vor dem Zerbrechen an der Taille zu bewahren, was sie häufig wegen der übertriebenen Kurve zwischen den Brüsten, der unglaublich schmalen Taille und den Hüften taten.

Verschiedene Methoden des Steifens mit Fischbein wurden ausprobiert, Stahl wurde häufiger verwendet. Die Nachfrage nach Fischbein war so groß, daß es ein seltener und teurer Artikel wurde und verschiedene Ersatzstoffe, z.B. Rohr, benutzt werden mußten (60,61). Die beiden wesentlichen Arten der Korsettherstellung: Zwickel und Basque auf der einen Seite und die Einzelstückherstellung auf der anderen Seite, blieben nebeneinander bestehen. In den späten 60er wurde der Prozeß des Dampfformens eingeführt: Wenn das Korsett fertiggestellt war, wurde es sehr stark gestärkt und in Form auf einem metallenen Mannequin getrocknet. Im Jahre 1873 tauchte ein geformter busk auf, schmal am oberen Ende, sich in der Taille biegend und unten in eine Birnenform auslaufend. Er wurde spoon busk genannt und wurde in modernen Korsetts bis 1889 benutzt (42). Die Dampfformung, der spoon busk, sowie mehr Fischbeinstäbe und cording, machten das Korsett viel schwerer und unbequemer (39). Ein Modell aus den frühen 80er hatte zwanzig geformte Stücke und 16 Fischbeinstäbe auf jeder Seite, außerdem den spoon busk.

Obwohl die Korsetts normalerweise einen Vorderverschluß hatten, gab es einige, die nur eine Schnürung hatten, entweder vorne oder hinten. Dies sollte eine ununterbrochene Linie unter der enganliegenden Corsage des Kleides ermöglichen. Das Korsett wurde über den Petticoats getragen, welche an einem geformten Band befestigt waren, um jeden unnötigen Umfang an der Taille zu vermeiden. Manchmal waren sie auch an einem Band befestigt, das am unteren Ende des Korsett befestigt war (44). Strumpfhalter tauchten nur in den späten 80er auf, bis zum Ende des Jahrhunderts wurde sie aber an einem separaten Band, welches um die Taille geschlungen war, befestigt. Obgleich sie das Problem lösten, die Strümpfe hoch zu halten, schufen sie ein neues: Die Petticoats mußten nun über den Korsetts getragen werden und dies kam oft in Konflikt mit der Kleiderlinie.

Das Korsett war nun zu einem sehr eleganten Artikel in der Damengarderobe geworden und viel Sorgfalt wurde für seinen Entwurf und seine Herstellung verwandt. Es gibt einige reizende Exemplare der 80er aus schwarzem Satin kombiniert mit gelbem, blauem, rosa oder grünem. Die Stäbe wurde an ihren Positionen durch vielfältige Stickereien gehalten. Die teuersten wurden aus Satin hergestellt, z.B. ein weißes Satin- Hochzeitskorsett, welches mit orangen Blüten verziert war. Unmoderne Modelle, normalerweise in grau oder aschfarben mit cording anstelle von Fischbein, wurden weiterhin hergestellt für den billigeren Handel, Arbeitshäuser oder Wohlfahrtsinstitutionen.

In den späten 1880er änderte sich die Silhouette. Sie wurde härter und weniger gerundet und die Taille (body) wurde länger, was als Louis XV Linie bekannt war. Reihen von cording oder kurze Querstäbe aus Fischbein, die in den oberen Teil des Korsetts eingearbeitet wurden, verschärften die Konturen der Büste (40). Der vordere Stahlstab wurde wieder schmal und, obwohl er immer noch über den Unterleib gebogen war, verlor den konkaven Bogen in der Taille. Das Korsett wurde nach den gleichen Prinzipien wie früher hergestellt, es wurde jedoch mehr Gebrauch von elastischen Einsätzen gemacht. Der Wert von Elastizität in Korsetts wurde schon lange geschätzt, aber die Qualität war noch schlecht und als ein Korsettmaterial wurde es nicht bis zu den 1920er verwendet. Die besten Korsetts waren aus farbiger Seide, Satin oder Seidenbrokat, die billigeren normalerweise aus grauem, aschfarbenem oder schwarzem coutil, sie waren stets gefüttert. Die große Entwicklung des Korsett- Handels begann nun auf die Qualität der Materialien und der Herstellung einzuwirken. Die Corsetière konnte nun ein elegantes, wie angegossen passendes Modell anfertigen, das auch die schwierigste Figur wie gewünscht formen konnte.


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